Aus rund 600.000 Aufnahmen nicht veröffentlichten Aufnahmen hat Erwitt Eliott eine beeindruckende Auswahl erstellt, die seine gesamte fotografische Schaffenszeit umfasst. Die Bilder sind im Bildband „Found, Not Lost” veröffentlicht.
Elliott Erwitt ist einer meiner fotografischen Vorbilder, durch deren Bilder ihrer Laufbahn ich viel gelernt und meinen Ansatz zu fotografieren erweitert und verbessert habe. Der amerikanische Fotograf wird dieses Jahr 93 Jahre alt. Ein Beitrag von Hermann Groeneveld.
Einige Fotografien aus dem Bildband „Found Not Lost“ von Elliot Erwitt
170 beste Fotografien von 600.000 Aufnahmen
Im hohen Alter und nach unzähligen Veröffentlichungen in Magazinen, Bildbänden und Ausstellungen hat sich Elliott Erwitt 2018 nochmal in sein Archiv tausender Fotografien begeben, um das zu entdecken, was er Dekaden zuvor bei kritischen Bildauswahlen beiseitegelegt, für nicht vorzeigenswert befunden und vielleicht sogar längst vergessen hatte. Er entdeckte dabei Bilder, denen er früher keine große Beachtung geschenkt hatte, mit neuen Augen. Er verspürte einen ‚ungewöhnlichem Herzschlag‘ bei der Betrachtung des bisher Unbeachteten, wie er selber konstatierte.
„In meinen Neunzigern sehe ich meine Arbeit anders, als ich sie je zuvor gesehen habe …“.
Aus unglaublichen etwa 600 Tausend gesichteten Fotografien stellt Erwitt knapp zweitausend dieser neu entdeckten Werke zusammen, um die Auswahl schließlich auf 170 Bilder zu reduzieren.
Daraus ist nun ein Bildband entstanden, den ich Dir sehr ans Herz legen möchte. Interessant ist dieses Buch für diejenigen, die sich für Fotografie-Klassiker interessieren, und sich gerne von aussagekräftigen Schwarzweißfotografien aus der analogen Bilderwelt inspirieren lassen. Der Band trägt den Titel „Found Not Lost“ und kommt in einem geschmackvollen Leineneinband daher. Auf dessen Titel wurde eine von Ewitts Fotografien so aufgeklebt, als sei es ein Originalprint aus dem Fotolabor, auf dem sogar noch die Perforation des Kleinbildfilmes sichtbar ist. Am Ende des Beitrags zeige ich einige Bilder des Fotobandes.
Der Bildband „Found Not Lost“ von Elliot Erwitt ist bei Gost Books in London erschienen. Auf der Webseite des Verlages sind als Vorschau einige Seiten des Buches abgebildet. Für 77,65 Euro inklusive Versand kannst Du das Buch direkt beim Verlag bestellen.
Edel gemacht und doch auf das Wesentlichste reduziert
Sorgsame Zusammenstellung unterschiedlichster Motive und fotografischer Gelegenheiten, die dennoch untereinander auf ganz eigene Weise zu korrespondieren scheinen und kleine Geschichten erzählen. Etwa 40 Abbildungen als Einstieg in den Band entstanden in den 40er und 50er Jahren, sind quadratisch und lassen das klassische 6 x 6-Filmformat, möglicherweise der damals unter Profifotografen sehr verbreiteten ‚zweiäugigen’ Rolleiflex TLR als Werkzeug vermuten. Diese Serie besteht größtenteils aus lebhaften Porträts und gefühlvoll arrangierte Gruppenbilder, von den Bildinhalten in sich eher ruhend, jedoch handwerklich präzise.
Danach wird in das klassische Kleinbild-Format gewechselt; diese Bilder entstanden wohl überwiegend mit der von nahezu allen Berufskollegen Erwitts damals benutzten Leica M3. Bei Flickr findet man gar ein Foto seines Handwerkszeugs. Mit dem Einzug der Kleinbildfotografie hat sich auch der Stil Erwitts gewandelt: Die Bildinhalte werden komplexer, spontaner, mehr dem fotojournalistischen Anspruch und der Schnelligkeit und Unauffälligkeit der Leica-Messsucherkamera gerecht werdend.
Und noch einmal wird uns, an knackige Bildschärfe gewohnten, digital Fotografierenden, vor Augen geführt, das Unschärfe ein belebendes Bildgestaltungsmittel sein kann. Das beeindruckt selbst dann, wenn die Szene in eine vollkommene Unschärfe mit groben Bildkorn eintauscht. In der digitalen Bilderwelt ist uns dieser Blick zum Teil abhanden gekommen.
Die Bilder wirken, das Layout hält sich angenehm zurück
Ein ruhiges Layout tut gut, ein informatives Vorwort von Vaughn Wallace erzählt knapp aber unterhaltsam die Geschichte des Zustandekommens dieses Werkes, sehr persönlich auf Erwitt bezogen. Eine Bildlegende rundet das Werk ab, aus der wir entnehmen, dass die gezeigte Bildauswahl zeitlich die gesamte Schaffensperiode des Fotografen umspannt, von den 40er Jahren bis in die Zeit kurz nach der Jahrtausendwende.
Der fotografische Werdegang von Elliot Erwitt
Erwitt wuchs in Mailand und Paris auf, emigrierte als elfjähriger Bub mit seiner Familie in die USA. Er studierte in Los Angeles und arbeite in einem Fotolabor, bevor er als Zwanzigjähriger nach New York umzog. Zu fotografieren begann er möglicherweise inspiriert durch seine Labortätigkeit, aber ganz sicher durch die Begegnung mit einigen damals schon bekannten Fotografen wie Robert Capa. Bereits seit 1953 war Erwitt Mitglied der Fotoagentur Magnum Photos, die unter anderem von Capa mitgegründet wurde. Später war Erwitt sogar zeitweilig ihr Präsident und Vizepräsident.
Eine beachtliche Porträtsammlung prominenter Persönlichkeiten sowie unzählige Reportagen tragen heute Erwitts Handschrift: Fotografien von Marilyn Monroe, Marlene Dietrich und Jacqueline Kennedy. Sogar Fidel Castro, Che Guevara und Nikita Chruschtschow zählen dazu, womit im Laufe von Erwitts Karriere zahlreiche fotografische Ikonen entstanden – er selber wurde zu einer Ikone der Fotografie.
Elliott Erwitt hielt nach Situationen und Sujets Ausschau, die eine humorvolle Hintergründigkeit, manchmal gar Tiefgründigkeit zeigen und den Betrachter zum Schmunzeln anregen. Oft zeigen die Bilder die Leichtigkeit eines zufälligen Schnappschusses. In Wahrheit aber beruhen sie auf gewissenhafter Planung und aufmerksamer Beobachtung. Unterstrichen wird die Reduzierung der Bildinhalte auf Wesentliches durch konsequente Schwarzweiß-Fotografie.